21.09.2015

OLG Hamburg: auch Online-Archive müssen das Recht auf Vergessenwerden wahren

Gegen das Auffinden von längst veralteten Beiträgen im Netz können sich Betroffene wehren: Für Internet-Archive gilt – wie auch für Suchmaschinen – das Recht auf Vergessenwerden. Was Betroffene von allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzungen nach dem jüngsten Urteil des OLG Hamburg beachten sollten (Az. 7 U 29/12).

Der Pressesenat am Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) hat mit Urteil vom 07.07.2015 zum Az. 7 U 29/12 entschieden, dass Online-Archive dazu verpflichtet sein können, zu verhindern, dass Beiträge durch die bloße Eingabe von Namen in Suchmaschinen gefunden werden. Voraussetzung für eine derartige Haftung des Archiv-Betreibers sei, dass ein zunächst bestehendes, allgemeines öffentliches Interesse an den berichteten Vorgängen durch Zeitablauf erloschen ist und der Betreiber auf den nunmehr bestehenden rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen hingewiesen wurde.

In dem zu entscheidenden Fall hatte ein Kommunikationsberater gegen die Verlegerin einer überregionalen Tageszeitung geklagt, die in den Jahren 2010 und 2011 wiederholt über strafrechtliche Ermittlungen gegen den Kläger berichtet hatte. Die Artikel, die sich mit der Einleitung, dem Verlauf sowie der Einstellung des Ermittlungsverfahrens beschäftigen, konnten bis zum Urteilsspruch kostenlos über das Online-Archiv der Beklagten abgerufen werden. Der Kläger sah sich hierdurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte. Zu Recht, wie das OLG Hamburg nunmehr entschieden hat.

Persönlichkeitsrecht verletzt: Kein Anspruch auf Löschung der Artikel wegen Archivschutz

Zwar habe der Betroffene - sofern die Berichterstattung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtmäßig gewesen sei - keinen Anspruch darauf, dass die Beiträge aus dem Online-Archiv gelöscht werden; vergangenes Geschehen müsse in Hinblick auf die vom Grundgesetz geschützte Informationsfreiheit recherchierbar bleiben.

Archivbetreiber muss Maßnahmen zur Nicht-Indexierung durch Suchmaschinen treffen

Sofern das öffentliche Interesse an den berichteten Vorgängen durch Zeitablauf erloschen sei, könne der Betroffene allerdings vom Archivbetreiber verlangen, dass dieser dafür Sorge trage, dass die Artikel nicht mehr von Suchmaschinen indiziert werden. Eine entsprechende Pflicht ergebe sich in Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Recht auf Vergessenwerden. Denn - so der BGH wörtlich -

"wenn schon der Betreiber einer Suchmaschine dazu angehalten werden kann, die Erreichbarkeit von Internetbeiträgen durch bloße Eingabe des Namens der von diesen Beiträgen in erheblicher Weise betroffenen Personen zu unterbinden (EuGH, Urt. v. 13.05.2014, GRUR 2014, S. 895ff.), dann kann es erst recht auch dem Urheber des betreffenden Beitrages - mag er auch das Presseprivileg für sich in Anspruch  nehmen können - angesonnen werden, Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass dieser Beitrag zu einer stetig fließenden Quelle von Beeinträchtigungen persönlichkeitsrechtsverletzender Belange des Betroffenen wird."

Der Konflikt zwischen den Interessen von Presse ("freie Berichterstattung") und Betroffenen ("Resozialisierung") ließe sich in angemessener Weise zum Ausgleich bringen, wenn ältere Beiträge nicht mehr durch die bloße Eingabe des Namens auffindbar wären.

Archivbetreiber haftet wie Betreiber von Internetforen

Für das Entstehen dieser Verantwortlichkeit sollen dabei die für die Hostprovider-Haftung entwickelten Grundsätze gelten. Das bedeutet, dass der Seitenbetreiber erst dann verpflichtet ist zu handeln und Vorkehrungen für die Nichtindexierung durch Suchmaschinen zu treffen, wenn er vom Betroffenen qualifiziert auf den Verstoß hingewiesen wurde.

Das Urteil des Hanseatischen OLG ist inzwischen rechtkräftig. Die zugelassene Revision wurde nicht eingelegt. Eine höchstrichterliche Überprüfung der vom Senat vertretenen Ansicht steht insofern aus.
Ob sich das Recht auf Vergessenwerden in Online-Archiven auch verfassungsrechtlich durchsetzt, bleibt abzuwarten. Ende diesen Jahres wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zur Frage der Haftung von Betreibern von Online-Archiven im sogenannten "Apollonia-Prozess " erwartet (Az. 1 BvR 16/13).

Von: Rechtsanwältin Katharina Voigtland, LL.M.

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